Letters to the World – Auf Reisen

Nun da sich Saschas und mein verhängnisvolles Zusammentreffen im musikalischen Sektor schon zum sechsten Mal gejährt hat und ich schon lange nicht mehr hinterlistige Verse zum Besten gab, möchte ich heute mal wieder ein bisschen aus dem flotten Nähkasten palavern.

Das Leben als unterbezahlter Gelegenheitsmusikant bringt eine Sache mit sich, die ich von ganzem Herzen liebe: das Reisen. Jeder von euch, der auch nur einmal in seinem Leben über den Tellerrand seiner verzückenden Kleinstadt hinausgeschaut hat, kennt die Risiken, Nebenwirkungen und Freuden, die das Verlassen der heimischen Schlafstadt mit sich bringt.

Reisevariante 1: Das ländliche Event! Verbunden mit selbst Fahren (lassen), Tankstellenstops und stundenlangem Suchen nach der verdammten Location in den Untiefen irgendwelcher Wälder, Landstriche, Kleinstädte und Inseln.

Der Klassiker ist die gern gesehene Einladung an Orte, die man noch nie in seinem Leben gehört hat. Orte mit ländlichem Klang und stundenlanger Anreise. Denn immer, wenn es streckentechnisch so richtig knifflig wird, kackt im Weltraum garantiert so ein Navigationssatellit ab und man steht ohne Navi in der Uckermark und kann gar nicht so laut fluchen, dass einen auch nur irgendwer hören könnte, denn im Umkreis von 200km lebt eh keiner.

Findet man durch Zufall noch rechtzeitig zu besagtem Rustikalrave, wird man fast immer mit Kulturhaus-Charme, Bauzaunfloors und einer Anlage belohnt, die bereit ist, die Erdachse zu verschieben. Zu leise war es auf so einer Festivität noch nie, eher das Gegenteil! Und eine Sache wird auch immer großgeschrieben: dem Künstler Unmengen an Flüssigkeit zu verabreichen. Das hat durchaus Vorteile, denn der lokale Warmup DJ brettert beim Eintreffen schon mit gefühlten 140BPM in den Abend, als ob es darum gehen würde, die Peaktime unbedingt drei Stunden früher einzuläuten. Hier wird man gern in stundenlange Gespräche über Gott und die Welt verwickelt und muss mit dem Feuerwehrhauptmann einen Schnaps ungeklärter Herkunft trinken.
Es werden Fragen gestellt, als ob man aus einer anderen Welt käme und Antworten mit großen Augen quittiert!

Reisevariante 2: Das größstadtische Event! Das Kontrastprogramm findet dann in den meisten großen Städten statt, der Club ist leicht zu finden, denn der Taxifahrer kennt sich aus, der Laden hat im Idealfall einen Menschen für den Sound, der einen Soundcheck machen kann und es gibt Platz für die üppig mitgebrachten Geräte. Knackpunkt hier: die Künstlerbetreuung ist nicht immer so herzlich wie auf dem Lande, wenn sich überhaupt mal einer zuständig fühlt und auch nach Mitternacht noch im ansprechbaren Zustand aufzufinden ist.

Der Klassiker hier: man kann sich gern mal zu zweit die berühmten „drei Getränkemarken“ teilen. Vorteil allerdings: man muss niemandem erklären, dass man nicht „Sky and Sand“ spielen kann, da man ja live spielt! Der Großstädter an und für sich kennt sich aus im Metier. Die Gespräche belaufen sich meist darauf, dass man seinem Gegenüber zuhört, welche musikalischen Errungenschaften er schon vollbracht hat und mit welchem Superstar-DJ er schonmal auf welcher Afterhour total versumpft ist. Hier lohnt sich das Bleiben, denn das Rahmenprogramm ist meist mit fähigen Musikanten bestückt und man kann auch mal ungestört das eigene Tanzbein schwingen.

Reisevariante 3: Der Auslandsgig! Die Königsklasse des Tonsports ist oft einfach nur ein scheissanstrengender Gewaltakt mit hohem Verschleiss für Mensch und Maschine. Man stellt sich als Live-Act tausend Fragen: minimalstes Equipment wegen Gepäckbegrenzung? Hat der fremdländische Club Steckdosen, in die unsere Netzteile passen? Welches Stromnetz haben sie in Burundistan? Besteht unsere Korg-Armada den Sprengstofftest im Hinterzimmer des Flughafens? Will der grimmige Beamte am Röntgenapparat die Begründung „Das ist wirklich ein Musikinstrument!“ mit einem übergestreiften Handschuh quitieren? Sitzt ein dicker schwitzender Spanier neben dir im Flieger oder eine grazile, nach Lavendel durftende Italienerin? Hat der Promoter vor Ort dafür gesorgt, dass überhaupt jemand kommt? Sollte man sich Gedanken machen, wenn die Veranstalter auf dem Weg zu ihrer eigenen Party den Weg nicht finden?

Das Ausland macht in vielerlei Hinsicht Spaß. Man trifft unglaublich viele neue Leute, der überwiegende Teil ist sogar interessant. Man geht gut Essen oder kocht sogar zusammen, wenn man sich kennt. Die Atmoshpäre ist meist gelöst, denn der Künstler ist froh, da zu sein und der Veranstalter ist froh, dass man nicht nur den Vorschuss kassiert hat und sich dann für flugunfähig erklärt hat. Das Publikum ist dem fremden Musikanten gegenüber eher bereit, musikalische Unwägsamkeiten mit einem frenetischen Applaus zu beantwortem als dem Einheimischen. Dem gegenüber steht allerdings das viele sinnlose Warten am Flughafen, beim Abholen, zum Soundcheck und dass man doch in einer sprachlichen Blase bleibt, insofern man nicht fließend die Landessprache beherrscht. Desweiteren braucht man nach so einem Wochenende meist bis Dienstag, um den körperlichen Idealzustand wieder herzustellen.

Eines bleibt jedoch bei allen drei Varianten gleich: das seltsame Gefühl, wenn man nach dem absolvierten Gig in der Stille der Nacht die Bettdecke über den Kopf zieht! Eine ganz beklemmende Mischung aus Glück, Zufriedenheit, Erschöpfung und Einsamkeit – und ein kleiner Nachgeschmack vom obskuren Schnaps des Feuerwehrhauptmanns.

Nun dann, auf ins verflixte siebte Jahr Tonsystem mit uns und euch!

Zacharias

2 thoughts on “Letters to the World – Auf Reisen

  1. Na das wurde mal wieder Zeit 🙂 Eine amüsant illustrierte Gegenüberstellung. Schön, schön! Eine Variante in Odenform würde ich mir für das nächste Mal wünschen!

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