Rendezvous mit einem schlechten Übergang: Letters to the World im Jahr 2003

Rendezvous mit einem schlechten Übergang

Hallo flauschige Freunde der Schallplattenunterhaltung!

Es gibt Tage, da fühle ich mich sehr unwohl, wenn ich mit meinem Plattenkoffer in der Öffentlichkeit auftrete. Diese Momente sind zum Glück selten, aber selbst die wenigen unangenehmen Male hinterlassen einen komischen Nachgeschmack in meiner durchaus säuberlich gepflegten Mundhöhle.

Es trägt sich in diesen erwähnten Momenten nämlich so zu, dass man abwertende, ja gar verächtliche Blicke zugeworfen bekommt. Nun liegt es aber weniger an meinem Auftreten, meiner unorientierten Kleidungswahl oder frisurtechnischen Entgleisungen jeglicher Art, sondern schlichtweg daran, dass ich für das Verhalten ein paar weniger meiner (nennen wir sie mal ) “Kollegen” mit in Sippenhaft genommen werde. Nur weil ich eine viel zu schwere, silberne Kiste mit bunten Aufklebern schleppe und umsonst den Einlass passieren darf, bin ich gleich der aufgeplusterte, lustlose, geldgeile Freak, der den ganzen Abend nur spielt was ihm gefällt und die Hälfte aller Eintrittgelder und die gesamten Bareinnahmen kassiert. Mit diesem Hintergedanken im Kopf geht der Gast dann auch an den Abend. Warum sollte er mit jemanden feiern, der nicht mal “Mister Happy” spielt und dafür noch sein ganzes Wochenendgeld erhält.

Und wenn ich mich manchmal so umsehe, dann kann ich diese Gedanken sogar nachvollziehen.

Ich erwarte von einem Discjockey kein cooles Rumgepose mit einseitig eingeklemmtem Kopfhörer in eingeübter Superstar Körperhaltung. Ich erwarte BITTE BITTE NICHT den ganzen Abend stumpfes Hitgeboller! Ich erwarte auch keine so frickeligen kranken Sets, dass keiner mehr tanzen will und kann. Ich will einen Stereoschallplattenunterhalter sehen, der ausser den “Deejay.de” Salescharts noch einen weiteren musikalischen Horizont aufweisen kann. Einen Menschen, der sich ausser für 70s Coverversionen auch mal für ‘ne Michael Mayer Platte begeistern kann, sich auf dem Gebiet der gebrochenen Rhythmen auskennt und auch mal ein paar Songs vom Marvin Gaye, George Clinton, Simon and Garfunkel, Les Rhymes Digitales, der Thievery Cooperation und Aphex Twin gehört hat.

Ich erwarte einfach, dass man sich selbst nicht mehr feiert, als es das Publikum tut. Es kommt nicht darauf an, alle Boney M. Coverplatten in einem Set zu spielen oder die gesammelten Achziger Jahre als Neopopversionen im Case zu haben, es geht um einen eigenen Stil, um musikalische Kreativität, um gute Mixtechnik und ein Gespür für Menschen und ihre Stimmung!

Manche Pappkameraden können das Wort “Stimmungsbogen” scheinbar nicht mal buchstabieren. Manche husten immer ganz schrecklich laut, wenn sie merken, dass die Platten nicht synchron laufen beim Übergang. Manche benutzen sogar ein Mikrofon, um mit flotten Sprüchen und hippen Shouts über einen beschissenen Übergang hinwegzutäuschen. Manche spielen grottenschlechte Remixe von superschönen Discoscheiben, nur weil sie die Originalplatte nicht reinmixen können oder gar nicht wissen, dass es ein Original gibt. Manche schreiben sich superbekannte Scheiben vom Kollegen auf, weil sie denken, es seien die neusten Underground Hits aus Frankreich. Manche wollen auch mal eben schnell ‘ne Scheibe drehen, wenn man mitten im Set und im angesprochenen Spannungsbogen ist. Manche würgen einem beim Dj-wechsel die letzte sau geile Platte im Break ab und denken, das wäre OK. Ist es aber nicht! Alles nicht!

Keiner ist bis jetzt durch Selbstüberschätzung besser geworden. Liebt die Musik und was ihr tut!

Diskjonglierer sind keine Helden, sie sind Partygänger mit Plattenkiste, mehr nicht. Oder wie es so schön sinngemäß von einem berühmten Kollegen hieß:

“Dj’s sind die Freaks, die in der Ecke stehen” (Paul van Dyk)

Euer Malte, im Winter 2003

ERGÄNZUNG: Nun fast 7 Jahre nachdem ich diesen Text geschrieben habe, hat er erstaunlich wenig an Aktualität eingebüßt. Ich wundere mich oft noch über das Selbstverständnis mancher Kollegen, sich für eine sehr schlechte Leistung so feiern zu lassen. Fast könnte man das bittere Gefühl haben, dass wenn wir den Letter in 7 Jahren erneut posten, er immer noch aktuell ist. Einzig das verwendete Zitat vom Herrn van Dyk ist mittlerweile eigentlich zu einer Farce geworden. Ein Scherz aller erster Güte, wenn man sein Verhalten heutzutage bedenkt.

Beste Grüße aus 2010, Malte

3 thoughts on “Rendezvous mit einem schlechten Übergang: Letters to the World im Jahr 2003

  1. Das kann ich so nur unterschreiben mein lieber Herr Bandkollege!

    Ganz gar schreckliche Erlebnisse kennen wir da ja zur Genüge!

  2. Wer hat denn da schon wieder sein Prilwaschpulver aufm dem Tisch liegen lassen? Ihr Raver habt wohl überhaupt keinen Bock mehr auf strahlend-weiße Netzwesten? 😉

Leave a Reply to Honki Cancel reply